Berthold Kahn

Berthold Kahn wurde am 7. Januar 1888 in Bischofsheim im Haus Darmstädter Straße 10a/Ecke Spelzengasse geboren. Er war das vierte Kind des Metzgers Heimann Kahn und seiner Ehefrau Rosa geb. Dornberg. Er hatte sechs Geschwister, die Schwestern Bertha, Emma, Rebecka und Dina und die beiden jüngeren Brüder Marx und Julius. Sein Großvater war der Schutzjude, Ortsbürger und Metzger Moses Kahn, der das Geburtshaus von Berthold erbaut hatte.

Heimann Kahn betrieb die erste und älteste Metzgerei am Ort. Die Familie Kahn war bekannt, angesehen und beliebt.

Berthold besuchte die Volksschule Bischofsheim, erlernte im Anschluss daran bei seinem Vater das Metzgerhandwerk und arbeitete im elterlichen Betrieb. 

Am 1. Juni 1920 heiratete er Selma Lehmann aus Schaafheim, die Tochter des Kaufmanns Moses Lehmann und seiner Ehefrau Karoline Frank. Das Ehepaar hatte drei Töchter. Karoline Hilde wurde am 15. November 1920, Ilse Brendel am 25. Dezember 1922 in Bischofsheim geboren. Rosel kam am 20. März 1932 in Mainz zur Welt. 

1930 übernahm er das Geschäft und Wohnhaus an der Darmstädter Straße 10a/Ecke Spelzengasse von seiner Mutter.

Berthold Kahn war einer der prominentesten Juden in Bischofsheim, sein Geschäft entwickelte sich sehr gut und vor allem Arbeiterhaushalte gehörten zu seiner Kundschaft. Mit der Machtübergabe an die Nationalsozialisten geriet er ins Visier der örtlichen Nazis. Der Judenboykott vom 1. April 1933 war die erste einschneidende Maßnahme gegen ihn. Vor dem Geschäft postierten sich zwei SA-Männer in Uniform und versuchten die Kunden vom Betreten abzuhalten. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand ein Mann mit einem Fotoapparat und machte Aufnahmen und verschärfte dadurch die Aktion. Nach dem Boykott lief die Metzgerei nicht mehr so gut, da viele Kunden eingeschüchtert waren und Angst hatten. Trotzdem verkauften ihm viele Bischofsheimer Bauern weiterhin ihr Vieh und die Metzgerei stellte auf telefonische Bestellung und Auslieferung in der Dunkelheit um. Deswegen planten die Nazis weitere Aktionen. Ein Jahr später, im August 1934, wurde Berthold Kahn verhaftet und ins Gefängnis nach Mainz verbracht, da ihm der Verkauf von verdorbenem Hackfleisch vorgeworfen wurde. Nach zwei Wochen stellte sich heraus, dass es sich um falsche Anschuldigungen handelte und der nationalsozialistische Ortsvorsteher Friedrich Eitel die sogenannte „Fleisch-Affäre“ inszeniert hatte: Eitel hatte zwei Lehrlinge von Berthold Kahn bestochen, damit sie Maden ins Hackfleisch mischten. Der örtliche Apotheker hatte von den Maßnahmen gehört und die Familie gewarnt. Selma Kahn konnte die beiden Lehrlinge auf frischer Tat beobachten. Die Aktion der Nazis, die groß mit Flugblättern, antisemitischen Parolen und Transparenten begleitet wurde, scheiterte kläglich und er wurde freigesprochen und aus der Haft entlassen. 

Im August 1935 veröffentlichten die örtlichen Nazis im „Mainzer Anzeiger“ eine Anzeige mit dem Titel „Prangertafel“, in der die Namen des Bischofsheimer Bauernführer Jakob Schilling XII. und anderer örtlicher Bauern genannt wurden, die weiterhin die Viehwaage von Berthold Kahn nutzten. In der Folge traute sich niemand mehr in der Metzgerei einzukaufen.

1937 versuchte die Familie in die USA auszuwandern. Aufgrund der strengen Einreisequoten und der langen Wartezeiten auf ein Visum, war dies jedoch keine geeignete Lösung. Im gleichen Jahr entschloss sie sich, nach Luxemburg zu fliehen, und verkaufte Metzgerei und Wohnhaus weit unter Wert an Ernst Bechthold aus Seeheim/Bergstraße. In dem kleinem Dorf Soleuvre in der Nähe von Esch-sur-Alzette erwarb sie ein Zweifamilienhaus. Da sich die Erteilung des Visums verzögerte, musste die Familie vorübergehend nach Mainz in die Schulstraße in das Haus des Weinhändlers Liebenstein ziehen. Im Zuge der Ausschreitungen der Reichspogromnacht am 9. November 1938 wurde Berthold Kahn verhaftet und im KZ Buchenwald interniert. Nach 16 Tagen Haft kehrte er zurück. Gezeichnet von den psychischen Belastungen war er kaum wiederzuerkennen. Die schrecklichen Erinnerungen verfolgten ihn sein ganzes Leben. Seit dieser Zeit konnte er nie wieder glücklich und unbeschwert sein.

Am 21. Dezember 1938 übersiedelte die Familie nach Soleuvre. Eine Metzgerei durfte er dort nicht betreiben. Er konnte lediglich in der Landwirtschaft tätig sein. Die Familie fand ein Auskommen durch den Verkauf von Hühnern, Kaninchen, Milch und Eiern. Die beiden Töchter Hilde und Ilse konnten nach England fliehen.

Der Aufenthalt in Luxemburg währte aber nicht lange. Nach dem Einmarsch deutscher Truppen am 10. Mai 1940 musste das Ehepaar mit seiner Tochter Rosel nach Frankreich fliehen. Auf dem Weg nach Metz wurde Bertold Kahn von Ehefrau und Tochter getrennt. Es folgten Internierungen in mehreren Lagern. Erst in einem Lager in der Nähe von Nimes in Südfrankreich trafen sie wieder zusammen, wurden aber am 25. August 1940 in das Lager Les Milles, einer verlassenen Ziegelfabrik in Aix-en-Provence, deportiert. Im Winter 1940/41 kam Berthold Kahn für vier Monate in das Konzentrationslager Gurs in den Pyrenäen. Anfang 1942 war er in einem Arbeitslager in einer Marinewerft bei Marseille gefangen. Am 4. April 1942 stimmte die französische Vichy-Regierung der Deportation der Juden aus Frankreich zu und Gerüchte über eine bevorstehende Aktion veranlassten ihn aus dem Lager zu fliehen. Die Familie wohnte zunächst illegalen in der Wohnung einer Witwe in Aix-en-Provence und von Januar 1943 bis zur Befreiung durch die Alliierten im August 1944 bei verschiedenen Bauernfamilien in der Provence. 

Im September 1944 wurde auch Luxemburg befreit und am 7. Mai 1945, einen Tag vor der deutschen Kapitulation, kehrten Berthold Kahn, seine Frau Selma und die Tochter Rosel nach Soleuvre in ihr Haus zurück. 

1951 besuchte Berthold Kahn seine Heimat in Bischofsheim ein letztes Mal. Eine Rückkehr war ihm unmöglich.

Nach der Erteilung der Visen konnte die Familie im Januar 1952 in die USA übersiedeln. 

Berthold Kahn starb am 17. Januar 1981 in Miami, Florida/USA, im Alter von 93 Jahren. Er liegt auf dem Beth Israel Lower Cemetery in Rotterdam, New York begraben.

(Bernd Schiffler)