Hartwig Kahn
Hartwig Kahn wurde am 6. Februar 1878 in Bischofsheim als Sohn von Karl Koppel Kahn und Bienchen Schott geboren. Er hatte zwei Brüder und vier Schwestern. Die Vorfahren der Familie lassen sich bis in das 18. Jahrhundert zurückverfolgen.
Sein Bruder Max war schon am 6. Oktober 1914 in Frankreich gefallen. Sein zweiter Bruder Julius überlebte die Deportationen und starb 1947 in Luxembourg. Von den vier Schwestern wurden drei in Konzentrationslagern in Polen ermordet. Einzig seine Schwester Dina konnte in die USA flüchten. Sie verstarb 1944 in Chicago/Illinois.
Hartwig heiratete am 6. Dezember 1906 in Worfelden Theresa Kahn. Das Ehepaar hatte zwei Kinder: Friedrich, genannt Fritz, und Bina.
Hartwig Kahn war Kaufmann von Beruf. Er unterhielt ein Geschäft für Textilien und Manufakturwaren in der Frankfurter Straße 50 neben der Synagoge, das ihm seit 1907 gehörte.
Seit April 1933 litt das Geschäft unter dem von den Nationalsozialisten ausgerufenen „Judenboykott“. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 zerstörte der organisierte Mob den Laden mit drei Theken, Regalen, Spiegeln und Nähmaschinen. Alles wurde auf die Straße geworfen und völlig zerstört. Angaben der Gemeinde Bischofsheim zufolge entstand ein Gesamtschaden in Höhe von „schätzungsweise 2000,00 bis 3000,00 Reichsmark“. Daraufhin wurde das Geschäft geschlossen, der Warenvorrat verkauft und das Grundstück mit Datum vom 25. Mai 1942 dem Deutschen Reich überschrieben. Entschädigungszahlungen erfolgten nicht.
Am 20. März 1942 musste sich Hartwig Kahn wie andere jüdische Personen am Marienplatz in Bischofsheim einfinden und wurde in das polnische Ghetto Piaski nahe Lublin deportiert. Der Ortsvorsteher Georg Fischer hielt in einer Aktennotiz zur „Umsiedlung von Juden“ vom 2. Juli 1942 fest: Fünf jüdische Familien wurden „mittels Auto und durch die Polizei abtransportiert. [...] Deren Wohnungen wurden versiegelt“. Bereits am 16. April 1942 bekundete der Bischofsheimer Apotheker Wilhelm Nierhoff dem Finanzamt Mainz sein Interesse am Kauf des Anwesens Frankfurter Straße 50. Am 20. Mai stellte der Mainz-Kostheimer SA-Mann Georg Hübner den gleichen Antrag.
Nachbarn der Familie Kahn bezeugten später, dass Hartwig Kahns Eltern ihrem Sohn Päckchen nach Piaski geschickt haben. Wann und wie Hartwig Kahn zu Tode kam, ist nicht genau nachweisbar. Wie andere Bischofsheimer Juden gilt er als „verschollen“. Als sein Todesdatum ist der 8. Mai 1945 festgestellt, als Todesort wird Piaski vermutet.
(Helmut Helm)