Ermordeten und Verfolgten ein Gesicht geben

RÜSSELSHEIM. Im Jahr 1992 hat der Kölner Künstler Gunter Demnig den ersten Stolperstein in Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus verlegt. Seitdem wurden im Rahmen der „Sozialen Skulptur“, wie Demnig sein Projekt nennt, europaweit in knapp 30 Ländern rund 100.000 Stolpersteine verlegt. Die zehn Kubikzentimeter großen Pflastersteine sind jeweils mit einer Messingplatte an der Oberseite versehen mit Namen, Lebensdaten und Lebensumständen der Opfer des Nazi-Terrors. In Rüsselsheim hatte sich 2007 eine Stolperstein-Initiative gegründet, die mittlerweile 54 Stolpersteine im Stadtgebiet verlegt hat. Die nächste Verlegung in Rüsselsheim ist am 27. Januar, dem internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust, um 15 Uhr vor der Mainzer Straße 8.
Es gehe darum, den Ermordeten und Verfolgten des Nazi-Regimes ein Gesicht zu geben, betont Hans Zinkeisen, einer der Mitbegründer der Initiative und früher für die katholische Betriebsseelsorge tätig. Während es in anderen Kommunen durchaus kritische Stimmen zu den Stolperstein-Initiativen gegeben habe, sei die Initiative bei ihrer Gründung in Rüsselsheim von einer unheimlichen Zustimmung auch von Seiten der Politik getragen worden, erinnert sich Guido Casu, ehemaliger DGB-Ortsverbandsvorsitzender und ehemaliges Opel-Betriebsratsmitglied. Er hat gemeinsam mit Zinkeisen und unter anderem Pfarrer Volkhard Guth sowie Willi Braun, Vorsitzender der Stiftung Alte Synagoge, die Initiative ins Leben gerufen. „Man muss sich mit dem Thema beschäftigen, damit sowas nie wieder passiert“, unterstreicht Casu die Bedeutung der Initiative, die 2008 die ersten Stolpersteine gesetzt hat. Das Lesen der Inschrift der Stolpersteine, bei dem sich der Betreffende nach vorne überbeugen muss, bezeichnet Casu als einen „Akt der Würdigung vor den Ermordeten“. Habe sich die Initiative anfangs auf jüdische Verfolgte im Dritten Reich konzentriert, befasse sich das Projekt mittlerweile mit allen Gruppierungen, die von den Nazis verfolgt wurden - neben politisch und religiös Verfolgten auch mit Zwangsarbeitern und Opfern der Euthanasie, der systematischen Tötung von Kranken und Menschen mit Behinderung im Dritten Reich.
Bis ein Stolperstein letztlich verlegt werden könne, sei im Vorfeld eine umfangreiche Recherche und vor allen Dingen Dokumentation nötig, wie Zinkeisen betont. Aufgrund der zeitaufwendigen Recherche sei die Verlegung des Stolpersteins für Bernhard Nachmann vor dem ehemaligen Wohnhaus der Familie die erste seit drei Jahren in Rüsselsheim. Unterstützt werde die Initiative unter anderem vom Magistrat der Stadt Rüsselsheim, der Stiftung Alte Synagoge, dem evangelischen Dekanat, der Katholischen Arbeitnehmerbewegung und den Naturfreunden. Auch wenn die Zahl der Aktiven in der Initiative auf etwa ein Dutzend Personen gesunken sei, werde das Projekt stetig vorangetrieben. „Wir suchen natürlich jederzeit Nachwuchs“, betont Zinkeisen. Um insbesondere junge Menschen für das Thema zu sensibilisieren, kooperiere die Initiative bei jeder Verlegung eines Stolpersteins mit Rüsselsheimer Schulen oder auch mit Konfirmanden. Die Schüler oder Konfirmanden bereiten die historischen Daten zu der jeweiligen Person auf und tragen sie am Tag der Verlegung auch vor. Darüber hinaus gebe es immer einen Paten, der die Kosten für die Verlegung des Stolpersteins übernimmt.