Familie Selig in Bischofsheim
Die Familie Selig geht auf Seligmann zurück, der um 1670 geboren wurde und spätestens seit den 1690er Jahren in Bischofsheim nachweisbar ist. Er führte noch keinen bürgerlichen Namen. In den Unterlagen wird er „Jud Seligmann“ genannt, womit gleichzeitig sein sozialer Status bezeichnet war. Schutzjuden waren Personen jüdischen Glaubens, die unter der besonderen Aufsicht der Obrigkeit standen. Gegen die Entrichtung eines Aufnahmegeldes wurde ein sogenannter Schutzbrief erteilt, der die Niederlassung in einer bestimmten politischen Gemeinde gestattete. Zudem regelte er, welchen Tätigkeiten Juden nachgehen durften. Da sie vom Handwerk ausgeschlossen waren, standen ihnen fast ausschließlich Tätigkeiten als Händler offen. Auch die Geldleihe war erlaubt, da Christen dem Zinsverbot unterlagen. Dabei war allerdings der erlaubte Zinssatz gesetzlich festgelegt. Folglich gehörten Juden zu den Beisassen. Sie waren zwar Einwohner einer Ortschaft, hatten aber weder Bürgerrechte noch einen Sitz in der Gemeindevertretung. Auch durften sie das Gemeindeeigentum, beispielsweise die Allmende, nicht nutzen. Diese Situation änderte sich erst 1821 nach Einführung der ersten hessischen Verfassung.
Als Schutzjude hatte Seligmann neben dem Aufnahmegeld jährliche Leistungen an die Gemeinde Bischofsheim abzuführen, die darüber akribisch Buch führte. Auch sein Sohn, der um 1695 geborene Isaak Seligmann, lebte unter den gleichen Bedingungen. Sein Name weist auf eine jüdische Tradition hin: Hinter seinen Namen wurde der Name seines Vaters gesetzt. Die Absetzung vom Vaternamen erfolgte durch den Zusatz „ben“. Sein korrekter Name lautete also Isaak ben Seligmann. Damit änderten sich im Laufe der Zeit immer wieder die Namen der Familie. Erst einer seiner Nachkommen, Mayer Seligmann, nahm Anfang des 19. Jahrhunderts den festen Familiennamen Selig an. In einer Liste aus dem Jahr 1837 wird schon viermal der Name Selig geführt. Die Familie Mayer Selig bewohnte das kleine Haus Sackgasse 2, in dem sich zeitweise auch der Betraum der Bischofsheimer Juden befand. Dieses Haus wurde 1880 an einen Christen verkauft und 1907 grundlegend erneuert.
Auch die Seligs waren überwiegend als Händler und Kaufleute tätig. So handelte Seligmann Selig im 19. Jahrhundert mit Früchten und Getreide, ohne dass er eine ständige Niederlassung hatte. An Hirsch Selig lässt sich beispielhaft darstellen, dass auch Bischofsheimer Juden zu einem gewissen Wohlstand kommen konnten. Geboren wurde er 1846 als Sohn von Samson Selig in dem kleinen Haus Mainzer Straße 4 (heute Darmstädter Straße 4, unmittelbar neben dem ehemaligen Rathaus), erwarb aber 1895 das zweigeschossige, repräsentative Backsteinhaus Spelzengasse 4 unweit des heutigen Güterbahnhofs.
Er hatte 1893 gemeinsam mit seinem Bruder Ferdinand die „Fouragehandlung“ (Handel mit Pferdefutter) Samson Selig Söhne gegründet, die sich bald zum größten Gewerbebetrieb Bischofsheims entwickeln sollte und die noch vergleichsweise neue Infrastruktur des Bahnhofs erfolgreich nutzte. 1902 verfügte das Unternehmen dort sogar über einen eigenen Gleisanschluss mit Fruchthalle.
Viele Mitglieder der Familie Selig waren im Vorstand der jüdischen Gemeinde Bischofsheim. Hirsch Selig hatte diesen Posten 18 Jahre lang inne. Zudem war er 27 Jahre lang Vorbeter und Schofarbläser.
Andere Nachkommen aus der Familie wohnten in der Frankfurter Straße 8, respektive auf der gegenüberliegenden Straßenseite, Frankfurter Straße 9. Beides waren kleine, einstöckige Wohnhäuser. Das Haus Frankfurter Straße 9 befand sich schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Besitz der Familie Selig. Hier wurde 1871 Siegmund Selig geboren.
Auch dieses Haus wurde später zu einem sogenannten „Judenhaus“. Hier mussten Menschen wohnen, denen die Nazis ihre legitime Wohnung geraubt hatten. Das Meldeverzeichnis Frankfurter Straße 9 der Zeit nach 1940 lässt staunen: Hier lebten neben Siegmund Selig II Alisa Johanna, Erna Frieda, Franziska und Amalie Selig, David Lehmann mit seiner Frau Sara und Max Stern mit Ehefrau Settchen. Insgesamt mussten sich neun Personen den Wohnraum teilen. Einige von ihnen konnten dem Holocaust entfliehen, andere wurden deportiert und ermordet.
(Wolfgang Fritzsche)